Die glorreichen sechs

SIE HABEN IN RIO BEI DER FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT DER WOHNUNGSLOSEN FÜR DEUTSCHLAND GEKÄMPFT

 

German Team in Rio Deutsches Nationalteam der Wohnunglosen. Johannis Wendt (Kiel), Jiri Paccourek(Nürnberg), Steven Duda (Bensheim),Savas Bayraktar (Saarbrücken), Tiago,Stefan Huhn (Trainer), Patrick Bochmann(Leipzig), Katrin Kretschmer(Team Manager) von links nach rechts

 

Es ist ein eigenartiges Bild in Leme, dem nördlichen Abschnitt der Copacabana: Wo sonst attraktive Körper und ausladende Formen genüsslich zur Schau getragen werden, bewegt sich eine Woche lang ein ganz anderes Publikum: eine internationale Mischung aus Männern und einigen Frauen, von jung bis in die Jahre gekommen. Vielen sieht man an, dass sie im Leben schon einiges mitgemacht haben. Je zu viert in einer Mannschaft sprinten oder hecheln sie jetzt auf zwei kleinen Hartplatzfeldern an Rio de Janeiros berühmtestem Stadtstrand mit all ihrer Kraft einem Ball hinterher. Es handelt sich um den Homeless Worldcup, die Fußball-Weltmeisterschaft der Obdachlosen. Jiri Pachourek vom »Team Germany« strahlt. »Wir sind erst zwei Tage in Rio und haben schon so viel erlebt. Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben im Meer geschwommen. Das war einfach unglaublich.« Die andere Seite von Rio de Janeiro haben die Deutschen aber auch schon kennengelernt: In der Nähe des Mannschaftsquartiers schläft eine obdachlose Familie auf Pappkartons auf der Straße. »Es ist nicht nur ein Paradies hier, es ist auch bitter«, sagt Jiri. Wenn er das sehe, könne er nur sagen, »uns in Europa geht es eigentlich ganz gut«. Dabei hat auch der 29-jährige tschechischstämmige Jiri schon einiges in seinem Leben durchgemacht: Vor sechs Jahren kam er nach Deutschland, um seine Spielsucht in den Griff zu bekommen. Doch stattdessen stürzte er ab, nahm harte Drogen und geriet ins soziale Abseits. »Ich bin die ganze Zeit vor mir selbst weggelaufen«, sagt er rückblickend. Erst eine Suchttherapie half Jiri, sein Leben zu ändern. Halt gab ihm dabei auch, dass er wieder Fußball spielte. Mit 8 auf Kraut, der Mannschaft seiner Nürnberger Therapieeinrichtung, nahm er schließlich im Sommer an der »Deutschen Meisterschaft für Wohnungslose« teil. Hier wurde er für den Homeless Worldcup nominiert.

 

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Jetzt gehört Jiri mit Patrick, Savas, Steven, Johannis und Tiago zu den »glorreichen Sechs«, die Deutschland in Rio de Janeiro vertreten. Der mit Abstand Älteste im Team ist der 41-jährige Steven Duda, der Torwart der Mannschaft. Steven begeistert vor allem das internationale Flair beim Homeless Worldcup: Neben Männermannschaften aus 43 Ländern treten auch zwölf Frauenteams an – das sei »natürlich das Schönste«, sagt Steven. »Mit einigen der Frauen haben wir auch schon ein bisschen Fußball gespielt. Das ist ein Riesenerlebnis hier.« Fast zwanzig Jahre hat Steven auf der Straße gelebt, bis er vor Kurzem eine Wohnung der Wohnungslosenhilfe bezogen hat. Die Jahre zuvor waren nicht einfach: »Es gibt wirklich schlimme und harte Tage, gerade im Winter, wenn’s draußen kalt ist und man nichts findet, wo man schlafen kann.« Doch zumindest während des Homeless Worldcups gerät all das in Vergessenheit. Gecoacht wird das Team Germany von Stefan Huhn. Wer will, kann zu ihm auch »Nationaltrainer« sagen – aber bitte immer mit einem Augenzwinkern, wie Huhn anmerkt. Der 48-Jährige weiß von den letzten Worldcups, dass Deutschland nicht gerade als Favorit gilt. Trotzdem will Huhn, dass seine Jungs alles geben. »Ich habe selber mein Leben lang Fußball gespielt und möchte, dass man sich reinhängt und versucht, zu gewinnen. Aber man darf eben  auch nicht an seinen eigenen Erwartungen scheitern.« Sich voll reinzuhängen, dabei aber auch Regeln, seine Mitspieler und die Gegner zu respektieren – solche positiven Erfahrungen lassen sich durch einen Mannschaftssport wie Fußball machen. Auch Katrin Kretschmer hält den Fußball daher für ein »sinnvolles Instrument der Sozialarbeit«. Die Sportwissenschaftlerin Kretschmer organisiert seit Jahren mit einer Schar von freiwilligen Helfern die Deutschen Meisterschaften im Straßenfußball und ist an der Seite Stefan Huhns als Betreuerin mit nach Rio gekommen. »Die Wohnungslosen, die daran teilnehmen, können zu einer Art Botschafter werden und diese Begeisterung in ihre Mannschafte  tragen. Im besten Fall werden sie dann andere dazu aufmuntern, auch Sport zu treiben. Das ist einfach eine schöne Idee.« Der, der die zündende Idee für eine Wohnungslosen-WM hatte,  war der Schotte Mel Young, Gründer der Straßenzeitung The Big Issue. Bei einem Kneipengespräch am Rande einer Konferenz des International Network of Streetpapers 2001 in Kapstadt überlegte Young, wie man ein internationales Treffen von Wohnungslosen organisieren könnte: »Wir dachten, dass es bestimmt Probleme mit Visa, nationalen Gesetzen und der Verständigung geben würde, bis wir darauf kamen, dass es eine internationale Sprache gibt: den Fußball.« 2003 wurde der Homeless Worldcup im österreichischen Graz schließlich zum ersten Mal ausgetragen. Mittlerweile ist er ein international beachteter Event. Wie viele Wohnungslose inzwischen bei den vorbereitenden Länderturnieren antreten, weiß auch Young nicht genau, er schätzt aber, dass es »weltweit rund 50 000« sind. Teilnehmen dürfen am Homeless Worldcup nicht nur Menschen, die im herkömmlichen Sinne wohnungslos sind, sondern, wie der Deutsche Jiri, auch Drogenabhängige, die sich in einer Therapie befinden, sowie Asylsuchende.

Es ist jedenfalls ein breiter Mix von Gestrandeten, der in Rio de Janeiro in den Farben seines jeweiligen Landes aufläuft. Nach einer Umfrage erlebten über siebzig Prozent der Teilnehmer eine entscheidende Wende in ihrem Leben. »Ich bin jemand, der an den Sport glaubt, vor allem an die Macht des Fußballs«, sagt Homeless Worldcup-Präsident Mel Young. Die Ausrichtung des Homeless Worldcups kostet laut Mel Young je nach Austragungsort zwischen einer halben bis über einer Million US-Dollar, aufgebracht zum einen von Sponsoren, zum anderen vom Gastgeberland. So ist es jedenfalls normalerweise. Im konkreten Fall hätte Brasilien aber »unglücklicherweise gar nichts bezahlt«, beschwert sich Young. »Erst waren sie scharf darauf, dass wir hierher kommen, aber dann hat man uns nicht geholfen.« Um solche praktischen Probleme müssen sich jene, die beim Homeless Worldcup voller Stolz für ihr Land auflaufen, nicht scheren. Man geht mit vollem Einsatz zur Sache, gelegentlich auch übertrieben hart, aber nach Spielende umarmen sich die Spieler. Das Ganze ist wie ein großes Fest der Völkerverständigung. Die Neuseeländer etwa stimmen sich vor Spielbeginn mit einem Maori-Tanz ein, während die Südafrikaner vor Anpfiff zusammen singen.

Die deutsche Mannschaft hat sich in der Vorrunde achtbar gehalten und ist in einer starken Sechser-Gruppe Vierter geworden. Dabei gab es schon am zweiten Tag mit einem 2 : 12gegen Ghana eine schwere Schlappe. Das sei ein »richtiger Tiefpunkt« gewesen, sagt Torwart Steven Duda. Jeder sei danach erst einmal »eigene Wege gegangen, um runterzukommen «. Dennoch sei die Mannschaft weiter motiviert.

In der Platzierungsrunde haben die Deutschen dann noch einmal alles gegeben und landeten schließlich auf Platz 32. Die Spieler nahmen das mäßige Abschneiden recht gelassen. Es sei zwar »schade, zu verlieren «, sagt Jiri Pachourek, »trotzdem repräsentiert man eine Nation«. Er hätte schon so oft verloren, ob im Sport oder im Leben, dass er wisse, wie man mit Niederlagen umgehen kann: »Man muss aufstehen, und dann wird es auch wieder besser. So ist es halt auch in meinem Leben.«

Author: ole schulz

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